Seit 2017 ist in Deutschland das zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) in Kraft, welches die Pflegebedürftigkeit neu definiert und die bisherigen drei Pflegestufen durch fünf Pflegegrade ersetzt. Das Ziel der Gesetzesänderung ist es, die individuelle Lebenssituation eines Pflegebedürftigen zu verbessern und die Selbstständigkeit der Betroffenen zu stärken. In diesem Beitrag erfahren Sie, welche Leistungen Pflegebedürftigen zustehen und wie Sie einen Pflegegrad beantragen.
Das Sozialgesetzbuch (SGB), Elftes Buch (XI) definiert im § 14 die Pflegebedürftigkeit als eine gesundheitlich bedingte Beeinträchtigung der Selbstständigkeit und der Fähigkeiten einer Person, weswegen die Pflegebedürftigen auf die Hilfe von anderen angewiesen sind.
Pflegebedürftige Personen können die Anforderungen des Alltags in einem oder mehreren folgender sechs Bereiche nicht vollumfänglich selbstständig meistern:
Mobilität, verstanden als jeder Positionswechsel, ob im Bett oder bei der Bewegung in eigener Wohnung.
Kommunikative und kognitive Fähigkeiten wie Erkennen von anderen Personen oder räumliche Orientierung.
Auffällige Verhaltensweisen wie Aggressionen, Depressionen und weitere inadäquate Handlungsmuster.
Selbstversorgung wie Körperpflege, Nahrungszubereitung, Toilettenbenutzung.
Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Belastungen wie Einnahme von Medikamenten oder Verbandswechsel.
Soziale Interaktionen und Alltagsgestaltung, darunter Tag- und Nachtrhythmus und die Fähigkeit, sich selbst zu beschäftigen.
Pflegebedürftig im Sinne des Gesetzes ist nur einePerson, bei welcher die von einer zuständigen Pflegekasse anerkannte Pflegebedürftigkeit mindestens 6 Monate dauert.
Je nachdem, wie stark die Alltagskompetenz eines Menschen eingeschränkt ist, wird ihm einer der fünf Pflegegrade anerkannt. Die Einstufung nehmen unabhängige Gutachter vor, indem diese die Selbstständigkeit und Fähigkeiten der Betroffenen in jedem der oben genannten Bereiche durch die Vergabe von gewichteten Punkten einschätzen.
Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (12,5 – weniger als 27 Punkte), zum Beispiel Personen mit leichter Demenz oder Arthrose.
Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (27 – weniger als 47,5 Punkte), zum Beispiel Personen mit fortschreitender Demenzerkrankung.
Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (47,5 – weniger als 70 Punkte), zum Beispiel Personen mit fortgeschrittener Parkinsonerkrankung oder Autoaggressionen.
Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (70 – weniger als 90 Punkte), zum Beispiel infolge eines Schlaganfalls oder einer angeborenen Erkrankung teilweise gelähmte Personen.
Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die Pflege (90 – 100 Punkte), zum Beispiel Personen mit schwerster geistiger Behinderung, Querschnittgelähmte, Komapatienten.
Die Einführung der neuen Pflegegrade dient laut Gesetzgeber vor allem der Stärkung von Rechten psychisch Kranken. Unter anderem unterstützt der neu eingeführte Pflegegrad 1 gezielt die Personen mit Depressionen, Demenz und sonstigen psychischen Problemen.
Je nach Pflegegrad haben die Pflegebedürftigen unterschiedlichen Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse. Die Leistungen setzen sich aus mehreren Bausteinen zusammen, und zwar:
Pflegegeld, über welches die Pflegebedürftigen frei verfügen und zum Beispiel an pflegende Angehörige auszahlen können.
Pflegesachleistung, also die Kosten der häuslichen Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst.
Tages- und Nachtpflege, also die Leistungen für teilstationäre Unterbringung von den ansonsten zu Hause gepflegten Pflegebedürftigen.
Vollstationäre Pflege, d.h. die Kosten für dauerhafte Unterbring in einer Pflegeeinrichtung.
Kurzzeitpflege– die Kosten für Unterbring in einer Pflegeeinrichtung nach einem Krankenhausaufenthalt, in der Regel für bis zu 4 Wochen im Jahr.
Verhinderungspflege– Erstattung der Kosten für ambulanten Pflegedienst im Falle von Erkrankung oder Urlaub der pflegenden Angehörigen, in der Regel für eine Dauer von 4 Wochen.
Betreuungs-und Entlastungsleistungen – zusätzliche Mittel zur Finanzierung von Betreuungs-und Pflegekosten, unabhängig vom Pflegegrad 125 Euro im Monat*.
Wohnraumanpassung, Umstellung auf behindertengerechtes Wohnen, unabhängig vom Pflegegrad 4.000Euro* pro Person einmalig.
Pflegehilfsmittel wie Einweghandschuhe oder Matratzenschoner in Höhe von bis zu 40 Euro*monatlich unabhängig vom Pflegegrad.
Einrichtung und Unterhaltung von einem Hausnotruf in Höhe von 25,50 Euro* pro Monat.
Gut zu wissen: Einige Leistungen können Sie kombinieren. So ist es unter anderem möglich, durch den Verzicht auf einen Teil der Pflegesachleistungen einen Anspruch auf Teilzahlung des Pflegegeldes zu erhalten.
Infolgen der Tabelle erhalten Sie einen Überblick über die Leistungen der Pflegekassen nach Pflegegrad*. Wir listen nur pflegegradabhängige Leistungen auf:
Ihre Krankheit schreitet voran und Sie merken, dass Sie ohne fremde Hilfe in Ihrem Alltag nicht mehr zurechtkommen. Oder Sie erleben, dass Ihrem Angehörigen die Selbstständigkeit immer weiter abhandenkommt. Dann ist es an der Zeit, einen Antrag auf die Anerkennung eines Pflegegrads zu stellen. Je früher Sie den Antrag stellen, umso besser, denn die Leistungen erhalten Sie erst ab dem Datum der Antragsstellung.
Dabei kann Pflegebedürftigkeit in jedem Alter entstehen. Demenz und onkologische Erkrankungen, Multiple Sklerose und Arthrose, Unfall oder depressive Zustände führen in vielen Fällen zur Pflegebedürftigkeit.
Im ersten Schritt verfassen Sie ein formloses Schreiben an Ihre Pflegekasse, die an Ihre Krankenkasse angegliedert ist. Sie können den Brief nicht nur per Post, sondern auch per E-Mail oder Fax der Pflegekasse zukommen lassen, auch ein Telefonanruf reicht als Antrag auf die Anerkennung eines Pflegegrades aus. Grundsätzlich sollen Sie als die betroffene Person den Antrag stellen. Sind Sie dazu nicht imstande, stellt ein Bevollmächtigter den Antrag.
Ihre zuständige Pflegegasse schickt nach dem Eingang Ihres Antrags Formulare zum Ausfüllen. Außerdem ist die Kranken- oder Pflegekasse verpflichtet, Ihnen innerhalb von 2 Wochen nach der Antragsstellung einen zuständigen Berater zunennen. Sie können aber auch die Unterlagen selbst oder mithilfe Ihrer Angehörigen ausfüllen sowie später Änderungen vornehmen.
Wichtig zu wissen: Anspruch auf die Anerkennung eines Pflegegrades haben Sie nur in dem Fall, wenn Sie innerhalb der vergangenen 10 Jahre mindestens 2 Jahre lang in die Krankenkasse eingezahlt haben. Im Falle der Pflegebedürftigkeit von Kindern reicht es, wenn nur ein Elternteil diese Bedingung erfüllt.
Sind Ihre Unterlangen bei der zuständigen Pflegekasse eingegangen, legt diese einen Termin für den Besuch eines Gutachters oder einer Gutachterin fest. Die unabhängigen Gutachter kommen nie unangekündigt! Während der Wartezeit empfehlen wir, Pflegetagebuch zu führen. Hier notieren Sie, wie viel Zeit Sie oder der pflegebedürftige Angehörige für die Erledigung von alltäglichen Aufgaben benötigt, und welche davon die meisten Schwierigkeiten bereiten.
Hinweis: Halten Sie wenn möglich bei dem Gutachterbesuch medizinische Unterlagen wie Berichte des Hausarztes und der Fachärzte, Medikationspläne und falls vorhanden Entlassungsberichte des Krankenhauses oder einer Reha parat.
Gutachter von dem Medizinischen Dienst bei den gesetzlich Versicherten oder von MEDICPROOF bei den Privatversicherten prüfen die vorhandene Selbstständigkeit und den Bedarf am Fremdhilfe. Dabei stützen sich die Gutachter auf die im §14 des SGB XI definierten sechs Bereiche oder Module zur Einstufung der Pflegebedürftigkeit. Gutachter führen Gespräche mit der Antragstellerin oder dem Antragsteller sowie mit den Angehörigen und machen sich mit dem Pflegetagebuch sowie weiteren Unterlagen vertraut.
Für jeden Modul vergibt der Gutachter oder die Gutachterin eine bestimmte Punktezahl. Anhand der Summe dieser Punkte erkennt die Pflegekasse einen der fünf Pflegegrade an oder lehnt Ihren Antrag ab. Sowohl im Falle einer Ablehnung als auch, wenn Sie oder der pflegebedürftige Angehörige einen aus Ihrer Sicht zu niedrigen Pflegegrad erhalten haben, dürfen Sie gegen die Entscheidung einen Widerspruch einlegen. In diesem Fall kommt es zu einem Zweitgutachten entweder durch einen erneuten persönlichen Besuch des Gutachters oder anhand der Aktenlage.